Madonnen- und Mutterdarstellungen

Luis Rauschhubers Leben und Arbeiten war stark durch seinen Glauben und seine mystische Gedankenwelt geprägt. So wundert es nicht, dass in seinem Werk die Grenzen zwischen religiösen und profanen Motiven oft fließend verlaufen. Gerade dieses Wechselspiel macht deutlich, wie untrennbar beide Bereiche in seinem Leben miteinander verknüpft waren. Er glaubte daran, dass jeder Mensch mit seinen von Gott erhaltenen Talenten einen Auftrag zu erfüllen habe, für den er am Ende seines Lebens zur Rechenschaft gezogen werde. Er selbst verstand sich in seiner Tätigkeit als Bildhauer nur als Werkzeug Gottes.

Die frühen Madonnen- und Mutter-Kind-Darstellungen aus den vierziger Jahren stehen ganz unter dem Eindruck der Kriegsjahre. Die Madonna "Pieta mit Dornenkrone"in der Kirche St. Georg schuf er beispielsweise nach einem Gang durch das zerbombte Nürnberg 1948.

Er verwandte zwar den traditionellen Typus der thronenden Madonna, ließ aber den Stein ganz in expressionistischer Manier zum Ausdruck der Erschütterung und der Hoffnungslosigkeit werden. Die Größe der Tragik und die Stärke der Empfindung ist in kräftiger und klarer Linie aufgezeigt.

Die Zeichnung war für Luis Rauschhuber immer ein zusätzliches Medium seiner Gedanken- und Formenwelt. Oft suchte er in der Skizze anhand von mehreren Variationen die Lösung für die plastische Umsetzung einer Idee. Die charakteristische Strenge und die auf klare Linien reduzierte Formensprache des plastischen Werkes erfährt dabei eine zusätzliche Steigerung. Wenige spannungsvolle Linien werden hier zu Symbolträgern. Ganz deutlich wird in ihnen auch seine plastische Auffassung der Motive. Durch seine Vorliebe für grob strukturiertes Japanpapier verleiht er der Zeichnung eine zusätzliche Dimension, welche das eigentlich zweidimensionale Medium zum plastischen haptischen Erlebnis werden lässt.

Das Motiv der Madonna und der Mutter ist bei Luis Rauschhuber Träger verschiedener konnotativer Bedeutungen. „Madonna“ und „Mutter“ stehen als Symbol für Schutz, was sich deutlich in der Gestaltung der Schutzmantelmadonna zeigt. Dabei handelt es sich um eine ab dem 13. Jahrhundert auftretende Darstellungsform, die den sogenannten „germanischen Mantelschutz“ symbolisiert, der hochgestellte Frauen dazu berechtigte, Schutz und Asyl zu geben. Die Form des schützenden Gewandes findet sich im Werk Rauschhubers auch in vielen Mutterdarstellungen.

Zeigen sich im frühen Werk Rauschhubers überwiegend zeitbedingte Bedeutungsinhalte, so manifestiert sich in späteren Madonnendarstellungen sein ganz persönliches, gereiftes Glaubensbild. Die Madonna wird nun zur Lichtträgerin.

Ein Christusträger ist gleich ein Lichtträger,
wie Jesus auch ein Licht ist. So ein Mensch
ist zuerst durch sein lebendiges Herz als so
ein Träger gekennzeichnet.

( `über die Einsicht`)

Für Luis Rauschhuber ist das Licht der Beginn allen Lebens und Inbegriff des Glaubens.

So ist das Licht in uns auch nur eine Wärme
und Lichtkraft. Sie ist so lange fähig zu wirken,
so lange eine Kraftspende für das Licht da ist,
und was ist die Kraftspende? –
Das ist der Glaube an Gott in uns!

(„Die Liebe“)

In den Mutter-Kind- bzw. Madonna-Kind-Darstellungen Rauschhubers klingen auch Erinnerungen an eigene Kindheitserlebnisse an.

Mein erstes Erlebnis, in meiner Kindheit, war
der Abschiedskuss meiner sterbenden Mutter.
- Gut hab´ ich noch in Erinnerung, dass
meine Großmutter mich in ihre Arme hob
und die Mutter mich innig küsste.

(„Skizze für eine Lebensaufzeichnung“)

Mutter und Kind lässt Luis Rauschhuber zu einer formalen und inhaltlichen Einheit verschmelzen, zu einer homogenen, gewachsenen Form. Viele dieser Werke haben etwas Ernstes, und es klingt in ihnen die Strenge gotischer Formen an. Mit Luis Rauschhubers eigener Familiengründung kommt auch die heitere Note in sein Werk, manchmal in geradezu spielerischer Art.

Allen Madonnen- und Mutterdarstellungen ist gemeinsam, dass sie in ihrem profanen und religiösen Bedeutungsinhalt in einer ständigen Wechselbeziehung stehen.