Heilige und „Der verlorene Sohn“

Heiligendarstellungen findet man seit dem Mittelalter oft als Vorbild für die rechte Glaubenshaltung und Lebensweise. Sie wurden oft zu Schutzpatronen von Städten, Kirchen, Zünften oder Berufsgruppen ernannt. Luis Rauschhuber stellte in seinem Werk u.a. die Heiligen: Christopherus, Georg, Martin und Michael dar. Keiner dieser Heiligen mag ihn aber so stark beeindruckt haben wie der Hl. Franziskus von Assisi, den er viele Male gestaltete. Vor allem verehrte er dessen Sonnengesang.

"In welch einer Gottnähe stand doch dieser begnadete Sänger! Der an unseren Seelen rührt wie an den Saiten seiner Lyra (...). Und wenn im folgenden Gesang sein Preisen Gottes um seiner, der Mutter Erde Pracht wegen, wie von der Ewigkeit her, von einer mächtigen Woge getragen, an uns ertönt, so werden dadurch
in uns Akkorde ausgelöst, deren Stärke uns zu hohen Taten bewegt, immer hinausreichend, von der Natur zur Übernatur."

(Brief an Gertrud Meixner, 12. Dezember 1942)

Die meisten Darstellungen des Franziskus, die Luis Rauschhuber schuf, zeigen den Heiligen in der Natur, den Vögeln, den Tieren predigend. Das Gleichnis dieses Predigers, der sich von der Natur, bzw. Kreatur besser verstanden fühlte als von den Menschen seiner Zeit, mag für Luis Rauschhuber persönlich von Bedeutung gewesen sein. Als Mahner gegen den Materialismus seiner Zeit fühlte er sich oft unverstanden.

In der zeitgenössischen Kunst nehmen die Heiligendarstellungen einen sehr geringen Raum ein. Nur in der unmittelbaren Nachkriegskunst stehen Märtyrer und Heilige vereinzelt als Metaphern für die Opfer des Faschismus und für die Überwindung von Notzeiten durch Selbstlosigkeit und Solidarität.

"Nichts in der Welt kann aber den Menschen mehr erniedrigen als die bloße Erkenntnis seiner Hilflosigkeit, seiner Ohnmacht und Schwäche."

(Brief an Gertrud Meixner, 8. September 1942)

Diese Worte scheinen für die Darstellungen des Verlorenen Sohnes von Luis Rauschhuber zu gelten. In der verhärmten Gestalt des Sohnes, der vor Reue und Scham seiner Schwäche das Gesicht hinter der Hand verbirgt, kommt das Gebrochensein und die Hilflosigkeit zum Ausdruck. Dagegen arbeitet Luis Rauschhuber den Vater als gütige, seinen Sohn ganz umschließende Figur aus, die sich in ihrer Wiedervereinigung mit der Figur des Sohnes zu einer formalen und inhaltlichen Einheit zusammenfügt. Im Spätwerk gelangt Luis Rauschhuber zu einer zunehmenden Abstraktion, welche die beiden Körper zu einer einzigen Geste der innigen Umarmung, des ineinander Verschmelzens, werden lässt. Oft reduziert er den Bildausschnitt. Nur noch die Gesichter der beiden – mit wenigen starken Linien auf das Papier gebracht oder in den Stein geritzt – geben dem starken emotionalen Ereignis Ausdruck.

"So bin ich aber ein einfacher Diener der Musen, der sich wohl unendlich vieler Seligkeiten erfreuen darf, aber doch unzählige Male von Gott verlassen wird, so verlassen, dass oft sich jede Kreatur seiner erbarmen möchte."

(Brief an Gertrud Meixner, 22. Oktober 1943)

Während er stets den zurückkehrenden Sohn als gebrochenen und erbarmungswürdigen Menschen darstellte, schuf er ihn bezeichnenderweise in seinem letzten Werk (Relief links unten) als zur Ruhe gekommenen und zur Heimkehr bereiten Sohn.